Donnerstag, 23. April 2009

Wurf


Auszug "Malika"


Es ist nicht andere Stimme, die aus mir spricht. Das bist nicht du, Malika. Selbst bist du in mir, bist du nicht dort, wo hinein und hinaus eine Stimme wächst, die sich eines Sprachmuskels bedient. Ich spreche aus, und mir vor. Der Akteur, bin ich. Der Zuschauende, ich. Ich erschaffe Theater. Das reinste Spiel. Der Einakter im Monolog, von dem ein Ende zwar anzunehmen, doch von dem nicht auszugehen ist. Beide sind sie geduldig. Rechte Lebendigkeit. Akteur wie Zuschauender. Und von einem Vorhang, ist nichts zu erwarten. Und selbst erwartete man, so ist von Stofflichem nichts zu hoffen. Was wiederum uns widerspräche. Und mir widerspräche. Mir den Beginn nähme. Denn wir liegen im Stofflich. Und hoffend manches mal. Das bist doch du, Malika, der aus mir spricht; der gekrümmt und gebuckelt, verhindert und behindert, neben mir, unter mir, auf mir, in mir liegt. Wir liegen gekrümmt und gebuckelt, verhindert und behindert, nebeneinander, untereinander, aufeinander, ineinander. Nicht in einem Körper liegen wir. Gewiss nicht. Wobei führten wir dies voran bis zu einem Endlichen, lägen wir doch in einem Körper. In einem Körper, der Raum meint, ohne dass ihm Raum abzunehmen wäre. Doch Endliches: Viel. Gelassene, gleichgültige und gültige Viper, die auf Unschuld beharrt und immer auch darauf plädiert, zeigt man sich vor und die Narben ihres Griffs. Schau mich an jetzt. Schau mich in diesem Augenblick an. Mach Augenblick, da ich gehe. Mach mir glauben, du könntest schauen, und aus Augen. Mach mir glauben, ich könnte schauen, und aus Augen. Mach mir glauben, Gesichter sind und Körper. Mach mir Glauben. Sei Religion. Schau mich an im Augenblick des Sprachverlusts. Schau mich an in meiner Todangst. Jetzt schau mich an, Malika. Und schau, was du angerichtet hast mit uns. Mich nanntest du Papierne. Und im zärtlichen Kummer: deine bleiche Haut. Nun bin ich fehlerlos, da voll von Fehl, deine bleiche Haut. Du solltest bleich erkennbar sein auf schwarzem Grund. Du bist kaum sichtbar. Mir im Unsichtigen sichtbarer denn je. Kränker in Bleiche gelegt, als ich dich noch zu tragen wüsste. Meine Frau, sagst du und meinst, damit sei gewagt. Mein Mann, sage ich und: Mutter auch und: aller Welt Gott. Mein Mörder Malika. Der, der sich bleich auf schwarzem Grund seinesgleichen annimmt. Mein Haar nun ist kupfern. Verwirrend kupfern, wo zuvor verwirrend anderes war, und eingeflochten in dein schwarzes. Wo du dich einmal meiner annahmst, ließst du mich. Du färbtest mich, um mich gelassen hernach und in ursprünglicher Farbe vorsprechen zu lassen auf der Feste, die ich Platz nenne. Platz, an dem du nicht bist und ich nicht, trotz Ausgangsfarbe nicht, die sich um Erhalt bemüht und müht mit jedem Wort des Monologs, der abbrechen sollte, nicht aber abbrechen mag. Der Todangst wegen. Der Liebe wegen. Dieser Todangst wegen. Diesem Irr-, und Unding, das mit der gelassenen, gleichgültigen Viper soviel nur gemein hat, und das Schließliche gemein, als dass es auf Unschuld beharrt und immer auch darauf plädiert, zeigt man sich vor und die Narben seines Griffs. Zweifachgegriffen. Zweifachbegriffen ohne greifbar gemacht zu haben. Und angegriffen von beiden Seiten also. Was das für ein äußerer Kampf war, da unter und auf deinem Körper. Durchdringen zu wollen mit einem inwendigen Geschlecht. In dich eindringen zu wollen. Dich pfählen zu wollen, mich zu erlegen. Ärger stand es um mich mit dir in dieser Weise, als jemals zuvor in ähnlicher Weise. Ärger, da geglaubt war von mir. Ärger, da Ort der letztlichen Niederlage so schien. Doch bin ich nicht durchgedrungen, nicht zur Fassung hin; mit Händen nicht und nicht mit einem inwendigen Geschlecht.





Mittwoch, 22. April 2009

Erzählung

Auszug "Suz"


Er sieht ihn schon von Weitem. Den Mann. Im Foyer. Er erinnert sich an ihn. In diesem Augenblick, in welchem er daherkommt aus der Bar - in der einen Hand das Weinglas mit dem Merlot, in der anderen Hand die eben gezogene Schachtel Zigaretten - erinnert er sich; also sieht er den Mann im Foyer, unschlüssig stehend, nicht das erste Mal. Es kann das erste Mal nicht sein. Er fragt sich selbst, unsicher werdend. Eine Erinnerung ist die unbewusste Abfolge vergangener Bilder und die Darstellung eines daraus, der gegenwärtigen Situation entsprechenden, gewählten Bildes, nicht Herr Akademiker? Er lacht über sich. Trottel. Er applaudiert sich, dass es noch funktioniert, das eitle Ego. Keinen Schritt bewegt sich der Mann im Mantel aus der reglosen Position heraus. Ihn aber lenkt es auf ihn zu. Er scheint ein Mittvierziger. Lässig unter dem Mantel gekleidet, vermutet er, nachdem er einen Blick auf die wenig freiliegenden Hosenbeine erfassen kann. Jeansstoff. An den Füßen trägt er Turnschuhe. Eine bekannte Marke. Der Mann steht noch immer unbewegt, mit keiner Frage im Gesicht, noch mit einer sonstigen Regung, die einen nächsten Schritt verraten würde. Schon ist er dicht zu ihm aufgerückt. Schon steht er ihm nah, und in sein unbewegtes Gesicht starrend, gegenüber. Und? fragt er. Wie? fragt dieser und entgegnet jetzt seinem misstrauischen Blick. Kommst du von ihr, oder willst du noch zu ihr? Er hebt das Glas mit dem Merlot an zum Mund, netzt den Rand des Glases mit seinen Lippen, nimmt einen tiefen Schluck, starrt. Entschuldigen Sie. Der Mittvierziger deutet einen Schritt an, auf ihn zu, senkt den Kopf für Minuten, steckt die Hände in seine Manteltaschen, geht einige Schritte zurück, kehrt ihm dann den Rücken zu. Er fasst rasch vor, fasst ins Leere; setzt sich in Gang, lässt die Rädchen laufen, die Gedanken, holt ihn auf, den Fremden, greift und fasst Mantelstoff. Der Mann dreht sich um, dreht sich zu ihm. Er hat ein breites unbeholfenes Grinsen auf den Lippen. Seine Augen verraten Unbehagen, vielleicht Angst. Angst, er könnte Angst vor mir haben, denkt er. Wenn er weiß, worum es geht - und es scheint, als wüsste er - könnte er, berechtigterweise, Angst haben vor mir. Und? fragt er erneut. Der Mittvierziger grinst breiter, grinst unbeholfener. Pardon. Pardon, was? fragt er, ärgerlich werdend. Wir kennen uns nicht, entgegnet der Fremde. Wir kennen sie, erwidert er. Pardon. Ich weiß wirklich nicht, um was es hier geht. Er hebt eine Braue. Soso, Sie wollen mir weismachen, Sie wüssten nicht, um was es hier ginge. Wissen Sie, ich sehe Sie nicht das erste Mal hier stehen. Ich habe ein Zimmer in diesem Hotel, entgegnet der Fremde. Es scheint ihm die Entgegnung des fremden Mannes eine Spur zu kleinlaut. Dann und wann habe auch ich ein Zimmer in diesem Hotel, blafft er zynisch. Es ist ein gutes Hotel. Es spricht nichts gegen dieses Hotel, sagt der bemantelte Mittvierziger jetzt und senkt erneut den Blick. Wie ist sie mit dir? fragt er. Pardon? fragt der andere verständnislos. Ist sie aufrichtig mit dir, oder zahlst du? Der Fremde hebt die Hand auf zum Mund, hüstelt.

Dienstag, 21. April 2009

Rezensionen



sind zunächst einmal subjektiv und werden objektiv erst durch das Annehmen und/oder Teilen der geäußerten Meinung. Für Objektivität, ein Objektivitätsgefühl, braucht es also denjenigen, der es ähnlich sieht. Mich ärgert oft, in welch arrogantem Kleid Rezensionen daherkommen. Gerade bei Rezensionen, die sich auf Lyrik beziehen. Es scheint mir, als läge dort ein Druck des Rezensenten höher, das Komplexe, das Lyrik auch ist, vehement für eine Ganzheit nicht nur erfassen, sondern auch dringend durchsetzen zu wollen, um es "nocheinmal zu schreiben", "neu zu schreiben" und sich selbst damit darzustellen. Ein womöglicher Druck, der bei einer anderen Textgattung weniger gegeben wäre, erklärt sich der Inhalt durch eine andere Textgattung ja von allein, ist eine andere Textgattung ja Mittler. Gefreut habe ich mich erst kürzlich, erst gestern - aufmerksam geworden durch den Hinweis auf einer hiesigen Blogger-Seite einer Autorin, die auch die Verfasserin der Rezension ist - über eine Rezension, die sich über nichts stellen möchte, (was ich als selten empfinde) und sich eben ehrlich beschäftigt mit dem Thema/dem Gegenstand, der ausgewählten Lektüre; damit in jedem Fall gewinnbringend wird für den Leser der Rezension, der sich einlassen kann auf das Geäußerte, da er sich nicht erst durch eitles Aufgeblase zu einem Kern der Rezension kämpfen muss. In der Form würde ich gerne desöfteren Rezensionen lesen, sie selbst vielleicht derart auch schreiben lernen wollen. Ich vermisse meist den Respekt in Rezensionen, der darinnen zu finden wäre, lässt man dem Lesenden der Rezension offenkundig seine Mündigkeit, indem der Rezensent mitteilt, äußert, doch nicht - in eloquenter Dramatik oft - versucht aufzuerlegen. In diesen Versuchen von Rezension scheint mir immer eine Störrischkeit, ein Beharren wollen auf: "So ist das aber! Punkt und Bäh!". Ich für meinen Teil lasse mir nicht gerne von einem sich Äußernden die Zunge herausstrecken, mir Worte in den Mund schieben und bin immer wieder überrascht wie viele Rezensenten, das scheinbar für nötig befinden, um die Tatsache, dass ein Meinen immer nur ein Meinen-, nur Subjektivität sein kann, zu negieren.




Montag, 20. April 2009

Gedicht



Auszug "Aufenthalte"


III

Dir erklärt sich das ohne weiteres:
eine Welt neben deiner.
Meine Befangenheit nährt sich vom Übel:
diese Kriege finden statt.

Ich fahr aus der Haut in die fremde,
bin scheinbar,
Jungfrau hinter Panzerglas.

Du beziehst die alten Knochen neu,
stellst dich vors Haus und
darauf ein, dass es zu schmücken ist
mit dem, was sich findet

unter deiner Hand, deinem Blick
des Fassens einer Form;
und weißt, um Jahre voraus

das Jahr, das zu bezeichnen ist,
das gilt; und das ich immer ahnen darf,
als würde ich von Beeren kosten,
die mir vorm Finger weichen.




publiziert auf: http://www.poetenladen.de/cornelia-schmerle-gedichte.htm

Roman

Auszug "Bali"



Betty duscht. Der Vorhang ist gezogen. Das Wasser braust. Seit beinahe einer halben Stunde, braust das Wasser aus dem Duschkopf. Seit beinahe einer halben Stunde teile ich das Bad mit ihr und der Unbehaglichkeit, die, wie Luftfeuchtigkeit das Spiegelglas vor meinen Augen beschlägt, aufs Badezimmer drückt, die Wände kaum merklich näher kommen lässt, einkreist, was ihnen einzukreisen einfällt. Ich greife Zahnseide aus einem Schub der Bastkommode. Betty ist vom Singen in ein Summen übergegangen. Es ist ein fragiles Summen. Ich spüre das. Ich bemerke, wie ich meinen Atem nicht gehenlasse. Wie er stockt. Bemerke, unter welcher Spannung ich stehe. In welcher Hab-Acht-Stellung. Ich ziehe am Faden, den das Innenleben der kleinen Box fasst; ziehe lang und länger, reiße ihn schließlich, halte erneut kurzweilig Atem an. Ich nehme meine Hand auf zum Mund, öffne ihn, ziehe den Faden durch einen Zahnzwischenraum, halte wieder Atem an und die Ohren auf. Ein dumpfes Geräusch, das stark überlagert wird vom Brausen des Wassers. Ein dumpfes Geräusch hinter dem Duschvorhang. 'Betty?' frage ich laut. 'Alles okay?' Ein dumpfes Geräusch weiterhin. Brausendes Wasser weiterhin. Das ist es, was mich wissen lässt, Betty ist da. Ist noch da. Betty ist. 'Betty?' Sie antwortet nicht. Ich stehe schon am Duschvorhang. Ich wage es nicht den Duschvorhang zu ziehen. 'Betty!' Sie antwortet noch immer nicht. Ich halte Atem, ziehe den Duschvorhang. Betty ist, ist noch da, natürlich und steht in voller nackter Bettygröße unter dem Duschkopf, der das Wasser auf sie herabströmen lässt. Ihre Hände sind zu Fäusten geballt. Mit diesen geballten Händen schlägt sie wieder und wieder auf ihren Bauch ein. Ihre Augen sind geschlossen, auf ihrem nassen Gesicht liegt kein Ausdruck. Ganz unbeteiligt, wie schlafend, steht sie grad aufgerichtet unter der Dusche und schlägt mit Fäusten in ihren Unterleib hinein. 'Betty?' Sie antwortet nicht, öffnet nicht die Augen, hört nicht auf sich zu schlagen. Ich fasse vor, greife ihre Fäuste, halte Atem. Es ist eine Kraftanstrengung ihre Hände von ihrem Bauch abzuhalten. Sie versucht sich meinem Griff zu entziehen; ihr Oberkörper setzt sich in Bewegung. Die Schultern gehen auf und ab. Hin und her. Ihre Brüste heben und senken sich. Die Sehnen an ihrem Hals treten stark hervor. Ihre Augen bleiben geschlossen. Jetzt ist sie meinem Griff entkommen. Jetzt schlagen die Fäuste weiter auf den Bauch ein. Meine Knie stoßen gegen den Badewannenrand. Ich steige zu ihr unter die Dusche. Hebe das eine Bein über den Wannenrand, nehme das andere nach und stehe, komplett bekleidet noch, vor ihr unter der Dusche. Ich fasse ihr Gesicht, streichle ihr über die Wangen, beginne das Summen des von ihr letztgesummten Liedes, während sie sich die Fäuste in den Unterleib schlägt. Ich tue es Betty gleich und schließe die Augen. Ich streichle ihr Gesicht mit geschlossenen Augen, ertaste es; taste sie ab, die Bettyzüge, die sie gerade am Schlafen hält; die aber erahnbar schon sind. Auf einmal werden meine Hände gefasst, legen sich ihre Hände auf meine, bestimmen die Bewegung meiner sie streichelnden Hände. Ich öffne die Augen. Bettys Augen sind noch geschlossen. Ihr Mund steht ein wenig auf. Ihr Atem ist ruhig. Meiner steht. Sie führt meine Hände von ihrem Gesicht fort, ihren Oberkörper hinab. 'Wir sind die Verfolgten. Diese vom Unglück verfolgten Frauen. Immer sind es die Frauen. Da kann erzählt werden, was will. Eine Emanzipation hat nie stattgefunden. Eine Vermenschlichung nicht', sagt sie mit weiterhin geschlossenen Augen und so leise ins Brausen des Wassers hinein, dass ich mein Gesicht nah an ihres führen muss, um sie zu verstehen. 'Das ist nicht wahr', sage ich. 'Mach es nicht wahr', sage ich. Sie lässt eine Hand von meiner, die schon ihren kleinen knotigen Nabel erreicht hat; den sie sich in großen Zügen streicheln ließ und legt mir zwei ihrer Finger auf die Lippen. 'Psst.' Sie fasst mit ihrer anderen Hand nach der auf ihren Nabel liegengebliebenen Hand und nimmt sie hoch zu ihrem Mund. Ihre Lippen schließen sich, um sich gleich darauf etwas zu öffnen. Mit der Zungenspitze berührt sie meine Handinnenfläche, streicht und leckt sie die Innenfläche meiner Hand. Ich fasse sie in die Hüfte, ziehe sie vorsichtig an mich heran. Ihre Lippen umfassen meinen Zeigefinger. Sie beginnt an ihm zu saugen. Wasser und Berührung rieseln auf mich gleichermaßen ein. Ich lege meinen Kopf auf ihre kleine feste Brust, küsse ihre Schulterblätter jetzt, halte inne, schaue schräg zu ihr auf, wie sie saugt an meinem Finger, als sei sie ein Kind. Mit dem Gewicht der nassen Kleidung an mir und dem Gewicht ihrer Berührung stehen wir um jede Zeit verloren.