Donnerstag, 29. Oktober 2009

Roman


Auszug "Bali"



'Ich muss schließlich Sorge tragen für sie', denke ich laut nach. Das Doktorchen greift meinen Gedanken auf. 'Für wen müssen Sie Sorge tragen, Sodo?' Für einen Moment hatte ich seine Anwesenheit vergessen. 'Für wen müssen Sie Sorge tragen?' fragt er erneut und etwas irritiert auch, dass es mich urplötzlich spitzbübisch freut, ihn mit Neuem überrascht zu haben. Ich lasse ihn mit seiner Frage ein wenig zappeln. Er scheint gefasst, um Geduld bemüht. Ich hüstle und beuge mich tief nach vorn, tue so, als müsste ich Dringendes an meinen Schuhen feststellen; tue so, als ob ich dächte, ein Knoten meiner Schürsenkel hätte sich vielleicht gelöst. Unterm Tisch hindurch sehe ich, dass er, unmerklich fast, mit einer seiner Schuhspitzen scharrt. Ich grinse. Ich richte mich wieder auf. 'Es geht um meine Freundin Betty. Ich muss da sein für sie. Sie kommt so wenig gut ohne mich zurecht.' Nun hüstelt er, verlegen. 'Betty?' 'Betty. Ja.' 'In unseren bisherigen Sitzungen erwähnten Sie bislang keine Person Betty', erklärt er sein Hüsteln. 'Soweit ich mich erinnere, sprach ich generell nicht in Ausführlichkeit von Menschen, denen ich mich nah fühle', gebe ich zur Antwort und finde mich recht schlagfertig. 'Wie nah ist Sie Ihnen?' 'Nah.' 'Durch welche Begebenheiten wurde Sie Ihnen in dieser Weise nah?' Ich schweige, denke angestrengt nach. 'Durch Intensität.' 'Durch welche Begebenheiten, Sodo? Was teilten Sie miteinander, und seit wann teilen Sie?' 'Das sind sehr viele Fragen, Doktorchen. Fragen, die es nicht braucht.' Ich fühle mich zunehmend verwirrt, und es gelingt mir nicht die Ursache der Verwirrung auszumachen. 'Immerhin, Sie sorgen sich doch um Sie, wie Sie gerade sagten. Etwas schweißte Sie einmal zusammen. Wenn man sich um einen nahen Menschen sorgt, dann doch deshalb, weil es sich in den anderen hineinversetzen lässt und man dadurch meint zu wissen, was ihm gut-, oder nicht gut tun könnte.' Ich nicke. 'So wird es dann wohl sein.' Ich lege meine Hände zusammen und auf den Schoß. Er starrt mich unverschämt eindringlich an, lässt seinen Blick nicht von mir, und ich beginne tiefen Ärger auf ihn zu fühlen. Der Ärger steigt mir von der Brust bis in den Hals und in die Kehle hinauf, brennt dort, wird zur Wut. 'Was?' rufe ich gereizt aus. 'Was ist dein Problem jetzt mit mir Doktorchen? Ich muss dir nicht Rechenschafft ablegen! Muss dir nicht jedes Detail meiner Bekanntschaften offenlegen!' Er lässt sich von meiner Wut nicht beeindrucken. 'Stehen Sie mit ihr in einer Liebesbeziehung, Sodo?' Ich springe vom Stuhl auf, zerre meinen Mantel von der Lehne. 'Oha! Ja, ich stehe mit dieser Frau in einer Liebesbeziehung! Da haben Sie ja keine Ahnung von! Keine Ahnung, wie gut es tut mit einer Frau in solch einer Liebesbeziehung zu stehen!' 'Setzen Sie sich, Sodo', fordert er mich ruhig auf. 'Wir haben noch einige Minuten.' 'Du bist ein Tollpatsch, Doktor', sage ich dieses Mal gefasst, sage ich leise, sage ich gehemmt von einem Verständnis, das sich mir auftut, und das ihn anbelangt und unter anderem dazu ist, mich von dieser Wut fortzubringen. Dieser unerklärlichen Wut auf scheinbar banale Fragen.

3 Kommentare:

  1. Sehr gut geschrieben...

    LG, Rachel

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  2. lieben dank, rachel!

    hab einen guten und warmen tag.

    sei lieb gegrüßt,
    connie

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  3. Wer mag wohl das "Doktorchen" sein? Der Dialog klingt wie ein Verhör, nach Unverständnis. Was steckt dahinter? Sicher ein interessanter Anfang für ein Buch!

    tjm.

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