Mittwoch, 16. Dezember 2009

In eigener Sache:

Seit kurzem darf ich mich freuen, dass mein erster Band "In Pulsen" ist und hierüber bestellbar:


http://www.belletristik-berlin.de/index.php?id=187

Freitag, 11. Dezember 2009

Auszug aus der Nobel Lecture von Herta Müller:

"Damals in der Fabrik, als ich ein Treppenwitz und das Taschentuch mein Büro war, habe ich im Lexikon auch das schöne Wort TREPPENZINS gefunden. Es bedeutet in Stufen ansteigende Zinssätze einer Anleihe. Die ansteigenden Zinssätze sind für den Einen Kosten, für den Anderen Einnahmen. Beim Schreiben werden sie beides, je mehr ich mich im Text vertiefe. Je mehr das Geschriebene mich ausraubt, desto mehr zeigt es dem Gelebten, was es im Erleben nicht gab. Nur die Wörter entdecken es, weil sie es vorher nicht wussten. Wo sie das Gelebte überraschen, spiegeln sie es am besten. Sie werden so zwingend, daß sich das Gelebte an sie klammern muß, damit es nicht zerfällt.
Mir scheint, die Gegenstände kennen ihr Material nicht, die Gesten kennen nicht ihre Gefühle und die Wörter nicht den Mund, der spricht. Aber um uns der eigenen Existenz zu versichern, brauchen wir die Gegenstände, die Gesten und die Wörter. Je mehr Wörter wir uns nehmen dürfen, desto freier sind wir doch. Wenn uns der Mund verboten wird, suchen wir uns durch Gesten, sogar durch Gegenstände zu behaupten. Sie sind schwerer zu deuten, bleiben eine Zeitlang unverdächtig. So können sie uns helfen, die Erniedrigung in eine Würde umzukrempeln, die eine Zeitlang unverdächtig bleibt."

Montag, 23. November 2009

gedicht

täglich mit dem abend

wie sehr an der nacht hängen, ihren schatten vertrauend;
deinem hellichten dunkel folgt mein dunkelstes hell auf dem fuß,
lehnt sich, schmiegt sich in die ausgeblendeten winkel,
zwitschert mir in versfolge einheiten, säugt mich, kleinauf,
wandelt das nicht denkbare in ein glaubensfluizid, greift
gegen die richtung an, die sich nicht verschenkt - und ineinander
drehen wir uns tag um tag und tag ins gesicht zurück,
hängen fürs auge ein mobile übers zerpflügte bett; das wendet
kein blatt, widerruft nicht die zärtlichen worte für harlekin, für die,
die wie wir nicht erfassen, doch fassen, dass liebe notwehr ist.

Gedicht von Ingeborg Bachmann:

Liebe : Dunkler Erdteil

Der schwarze König zeigt die Raubtiernägel,
zehn blasse Monde jagt er in die Bahn,
und er befiehlt den großen Tropenregen.
Die Welt sieht dich vom andern Ende an!

Es zieht dich übers Meer an jene Küsten
aus Gold und Elfenbein, an seinen Mund.
Dort aber liegst du immer auf den Knien,
und er verwirft und wählt dich ohne Grund.

Und er befiehlt die große Mittagswende.
Die Luft zerbricht, das grün und blaue Glas,
die Sonne kocht den Fisch im seichten Wasser,
und um die Büffelherde brennt das Gras.

Ins Jenseits ziehn geblendet Karawanen,
und er peitscht Dünen durch das Wüstenland,
er will dich sehn mit Feuer an den Füßen.
Aus deinen Striemen fließt der rote Sand.

Er, fellig, farbig, ist an deiner Seite,
er greift dich auf, wirft über dich sein Garn.
Um deine Hüften knüpfen sich Lianen,
um deinen Hals kraust sich der fette Farn.

Aus allen Dschungelnischen: Seufzer, Schreie.
Er hebt den Fetisch. Dir entfällt das Wort.
Die süßen Hölzer rühren dunkle Trommeln.
Du blickst gebannt auf deinen Todesort.

Sieh, die Gazellen schweben in den Lüften,
auf halbem Wege hält der Dattelschwarm!
Tabu ist alles: Erden, Früchte, Ströme...
Die Schlange hängt verchromt an deinem Arm.

Er gibt Insignien aus seinen Händen.
Trag die Korallen, geh im hellen Wahn!
Du kannst das Reich um seinen König bringen,
du, selbst geheim, blick sein Geheimnis an.

Um den Äquator sinken alle Schranken.
Der Panther steht allein im Liebesraum.
Er setzt herüber aus dem Tal des Todes,
und seine Pranke schleift den Himmelssaum.

Ingeborg Bachmann

Donnerstag, 5. November 2009

Gedicht von Gertrud Kolmar:

Die Verlassene

An K.J.

Du irrst dich. Glaubst du, daß du fern bist
Und daß ich dürste und dich nicht mehr finden kann?
Ich fasse dich mit meinen Augen an,
Mit diesen Augen, deren jedes finster und ein Stern ist.

Ich zieh dich unter dieses Lid
Und schließ es zu und du bist ganz darinnen.
Wie willst du gehn aus meinen Sinnen,
Dem Jägergarn, dem nie ein Wild entflieht?

Du läßt mich nicht aus deiner Hand mehr fallen
Wie einen welken Strauß,
Der auf die Straße niederweht, vorm Haus
Zertreten und bestäubt von allen.

Ich hab dich liebgehabt. So lieb.
Ich habe so geweint ... mit heißen Bitten ...
Und liebe dich noch mehr, weil ich um dich gelitten,
Als deine Feder keinen Brief, mir keinen Brief mehr schrieb.

Ich nannte Freund und Herr und Leuchtturmwächter
Auf schmalem Inselstrich,
Den Gärtner meines Früchtegartens dich,
Und waren tausend weiser, keiner war gerechter.

Ich spürte kaum, daß mir der Hafen brach,
Der meine Jugend hielt - und kleine Sonnen,
Daß sie vertropft, in Sand verronnen.
Ich stand und sah dir nach.

Dein Durchgang blieb in meinen Tagen,
Wie Wohlgeruch in einem Kleide hängt,
Den es nicht kennt, nicht rechnet, nur empfängt,
Um immer ihn zu tragen.

Gertrud Kolmar

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Roman


Auszug "Bali"



'Ich muss schließlich Sorge tragen für sie', denke ich laut nach. Das Doktorchen greift meinen Gedanken auf. 'Für wen müssen Sie Sorge tragen, Sodo?' Für einen Moment hatte ich seine Anwesenheit vergessen. 'Für wen müssen Sie Sorge tragen?' fragt er erneut und etwas irritiert auch, dass es mich urplötzlich spitzbübisch freut, ihn mit Neuem überrascht zu haben. Ich lasse ihn mit seiner Frage ein wenig zappeln. Er scheint gefasst, um Geduld bemüht. Ich hüstle und beuge mich tief nach vorn, tue so, als müsste ich Dringendes an meinen Schuhen feststellen; tue so, als ob ich dächte, ein Knoten meiner Schürsenkel hätte sich vielleicht gelöst. Unterm Tisch hindurch sehe ich, dass er, unmerklich fast, mit einer seiner Schuhspitzen scharrt. Ich grinse. Ich richte mich wieder auf. 'Es geht um meine Freundin Betty. Ich muss da sein für sie. Sie kommt so wenig gut ohne mich zurecht.' Nun hüstelt er, verlegen. 'Betty?' 'Betty. Ja.' 'In unseren bisherigen Sitzungen erwähnten Sie bislang keine Person Betty', erklärt er sein Hüsteln. 'Soweit ich mich erinnere, sprach ich generell nicht in Ausführlichkeit von Menschen, denen ich mich nah fühle', gebe ich zur Antwort und finde mich recht schlagfertig. 'Wie nah ist Sie Ihnen?' 'Nah.' 'Durch welche Begebenheiten wurde Sie Ihnen in dieser Weise nah?' Ich schweige, denke angestrengt nach. 'Durch Intensität.' 'Durch welche Begebenheiten, Sodo? Was teilten Sie miteinander, und seit wann teilen Sie?' 'Das sind sehr viele Fragen, Doktorchen. Fragen, die es nicht braucht.' Ich fühle mich zunehmend verwirrt, und es gelingt mir nicht die Ursache der Verwirrung auszumachen. 'Immerhin, Sie sorgen sich doch um Sie, wie Sie gerade sagten. Etwas schweißte Sie einmal zusammen. Wenn man sich um einen nahen Menschen sorgt, dann doch deshalb, weil es sich in den anderen hineinversetzen lässt und man dadurch meint zu wissen, was ihm gut-, oder nicht gut tun könnte.' Ich nicke. 'So wird es dann wohl sein.' Ich lege meine Hände zusammen und auf den Schoß. Er starrt mich unverschämt eindringlich an, lässt seinen Blick nicht von mir, und ich beginne tiefen Ärger auf ihn zu fühlen. Der Ärger steigt mir von der Brust bis in den Hals und in die Kehle hinauf, brennt dort, wird zur Wut. 'Was?' rufe ich gereizt aus. 'Was ist dein Problem jetzt mit mir Doktorchen? Ich muss dir nicht Rechenschafft ablegen! Muss dir nicht jedes Detail meiner Bekanntschaften offenlegen!' Er lässt sich von meiner Wut nicht beeindrucken. 'Stehen Sie mit ihr in einer Liebesbeziehung, Sodo?' Ich springe vom Stuhl auf, zerre meinen Mantel von der Lehne. 'Oha! Ja, ich stehe mit dieser Frau in einer Liebesbeziehung! Da haben Sie ja keine Ahnung von! Keine Ahnung, wie gut es tut mit einer Frau in solch einer Liebesbeziehung zu stehen!' 'Setzen Sie sich, Sodo', fordert er mich ruhig auf. 'Wir haben noch einige Minuten.' 'Du bist ein Tollpatsch, Doktor', sage ich dieses Mal gefasst, sage ich leise, sage ich gehemmt von einem Verständnis, das sich mir auftut, und das ihn anbelangt und unter anderem dazu ist, mich von dieser Wut fortzubringen. Dieser unerklärlichen Wut auf scheinbar banale Fragen.

Sonntag, 27. September 2009

gedicht

atlantische nähen,
atlantische fernen


fast bewegst du dich lautlos,
auf sohlen, barfüßig, (und auch solchem gesicht)
in mich, hinein, es geht wohl

tiefer als ich dachte, (und mit mir ans ende)
anfangs, an den urgrund, den vereinsamten, bislang recht ungeteilten, oder:
nur gestreiften;

(ich weiß nun wirklich nicht,
ob ich zu worten komm,
mir das zutraue: ein dunkler liebeston,
der sein müsste,
jetzt)

das flattrige geschehn um uns, eingefasst mit dieser pupille,
die so nötig blick schwemmt, fortschwemmt, meint sie sich ausgesetzt in einen wald,
den wir anderntags zu unserm gebiet erklärn
und unsre stimme hochkriechen lassen an stämmen,
in wipfel legen, drauf vertraun,
dass es so schon gut ist,
und dass sich drum gekümmert wird,
um wagnis. (was es leicht macht, dadurch schwer
zu er tragen ist)

und dass ich selbst nur mir geliehen bin,
und dir -

und du mir also auch,
in logisch umgekehrter folge,
nichts versprechen kannst;
was die angstamsel auf den plan ruft, den dumm eigenen,
auf den wipfel jagt

wo -
du weißt es: alles von uns gelassene liegt

und einzusammeln sucht mit ihren sängen, denen wir späteren tags
staunend lauschen, weil gerade fremdheit wieder zwischen uns herrscht,
obwohl wir der keine krone aufsetzen,
nachts rücken im bett, ihr platz verschaffen,

(weil doch,
weil doch die amsel so hübsch und unverständlich singt)

den atlantik uns ins zimmer also holen,
der uns am morgen, im erwachen,
maßlos stört, im übrigen, und da er maßlos ist;
sodass wir uns in die ahnung kleiden, dass sie leicht ist,
so sehr, die liebe,
und dadurch schwer zu er tragen.

Donnerstag, 13. August 2009

Erzählung

Auszug "Kanon für drei Stimmen"



Am Morgen deckt er den Tisch. Er legt einen Croissant auf Nadias Teller, zündet eine Kerze an. „Gibt es was zu feiern?“, fragt Nadia, die frisch geduscht und im Bademantel in die Küche kommt. „Uns gibt es zu feiern“, entgegnet er. „Jeden Tag.“ Nadia wuschelt ihm liebevoll durchs Haar und es fühlt sich an, als sei alles gut. Er nimmt sie erleichtert in seine Arme, gräbt den Kopf in die warme parfümierte Beuge ihres Halses. „Komm“, löst er sich schließlich, schiebt einen der Stühle hervor, „setz dich, Süße. Genießen wir die Zeit, die wir für uns haben.“ Nadia wirft einen Blick auf die Küchenuhr, die über dem Gewürzbord hängt. „Naja, viel Zeit zum gemeinsamen Genießen ist nicht“, bemerkt sie. „Marill kommt in einer Stunde mit Selma zurück. Dann wollen beide Mädels von mir zum Schwimmbad gefahren werden.“ „Jesses!“, stöhnt er gespielt auf und schlägt sich mit beiden Händen auf die Schenkel. „Himmeldonnerwetter! Was die nicht alles wollen, die Mädels von heute! Ist das nicht zum Heulen, dass wir uns so korrupieren lassen von der halbwüchsigen Unterklasse!“ Nadia lacht auf, wirft ihm über den Tisch hinweg eine Kusshand zu. „Nimm's locker, Papachen! Wir kommen damit klar!“ Er nimmt das Messer zum Schmieren seines Brötchens in die Hand. „Du, oder ich?“

„Und du denkst nicht, dass das zu viel von dem Grünzeug ist?“, mault Marill und starrt angewidert auf die Brotbox, die Nadia gerade schließt. Nadia schaut entschlossen. „Nein, das denke ich nicht. Es ist ein Apfel, Marill. Weiter nichts. Ein Apfel.“ „In Scheibchen geschnitten!“, nörgelt Marill weiter. „Mensch, Mama! Das Ding pack ich nie aus! Das wird da drin faulen und schimmeln bis es stinkt! Ich tanze doch nicht an auf dem Hof und hole ne Brotbox mit geschnittenem Apfel aus dem Rucksack! Da packen sich alle weg!“ „Ist das jetzt so?“ Nadia schaut interessiert, Marill wendet sich verlegen von ihr ab. „Was glaubst du denn? Mann, so alt bist du doch noch gar nicht!“ „Na, vielleicht ja doch“, entgegnet Nadia und streicht ihrer Tochter über den Kopf. „So insgeheim.“ „Gequirlte Scheiße!“, befindet Marill und beugt sich zum Rucksack, der vor ihren Füßen liegt, herunter. „Schlechte Stimmung? Morgen, die Damen!“ Er legt einen Arm um Nadias Hüfte, zieht sie an sich. Nadia hebt den Kopf zu ihm auf und erwidert den Kuss, den er ihr auf die Lippen setzt. „Marill findet Apfelscheiben doof“, erklärt sie. „Seit sie neun ist, Baby!“, nickt er, klopft Nadia wie tröstend auf die Schulter, wirft einen Blick zur Kaffeemaschine. „Ah“, stellt er befriedigt fest. „Du hast schon einen gekocht.“ Dann sieht er lächelnd zu der verblüfft drein schauenden Nadia. „Mach dir nichts draus! Du versuchst es immer wieder! Seit vier Jahren! Das nenne ich mal mütterliche Ausdauer!“ Marill verstaut die Brotbox und schließt den Rucksack. „Ich find's nur nervig!“ „Das sollst du auch“, entgegnet er nüchtern. „Das ist die Taktik dahinter. Es soll dich solange nerven, bis du kapitulierst und jeden einzelnen nächsten Morgen mit Vehemenz deinen Apfel in Scheibchen verlangst.“ Marill verdreht die Augen, wirft sich den Rucksack über. „Ihr tickt doch beide manchmal daneben!“ Er lacht dunkel auf, nimmt sich einen Becher vom Küchenregal und gießt sich einen Kaffee ein. „Unser Mädchen wird wohlerzogen bis ans Ende ihrer Tage bleiben“, scherzt er leichthin. „Kein Grund also, sich Sorgen zu machen.“ „Schön wäre -“, sagt Marill gepresst beim Hinausgehen, „ihr würdet mich langsam ernst nehmen. Oder euch, oder so.“ Jetzt sieht er verblüfft aus. „Habe ich was verpasst?“, wendet er sich an Nadia. Nadia winkt ab und nimmt sich selbst auch einen Becher vom Küchenregal. „Ich denk mal“, meint sie dann ernst, „darüber müssen wir nachdenken.“ „Ach“, entgegnet er und tut es ab, „das ist jugendliche Laune, die sich durchschlägt. Das kommt und geht, das Aufbegehren. Fast ist sie um diese Form der Spontanität zu beneiden.“ „Wenn man Spaß an Kriegsführung hat“, erwidert sie kühl und wendet sich von ihm ab. Was das nun bedeuten solle, fragt er.

Sonntag, 9. August 2009

gedicht


junge füchse in nähe und abend

ich habe eine landbewegung in den knochen
gespürt, wenig dabei gelitten, ich dachte,
es würde mehr, blieb aber, wie ein handstreif,
flüchtig zunächst. und lichter der stadt:
hochgehangen, baumelnde köpfe, zu denen es musste,
mein blankes aufschaun, da alles versuchte,
in mich zu dringen: lächeln, erstaunen, wut.
und wie ich einsank, dem mund einen hunger zugestand,
die triebe des dickkichts auf meinem teller,
die blühe des seins in manngestalt neben mir -
legte sich mull in meinen bruch mit der liebe.

gewidmet

Donnerstag, 16. Juli 2009

Erzählung





Auszug "Kanon für drei Stimmen"



Der Typ habe ihre Nummer wissen wollen, empört sich Marill. Sie lässt ihre geballte Hand aufs Tischholz fahren. Das würde sich jetzt steigern. Von Mal zu Mal. Langsam würde aus ihr eben eine Frau, befindet er. Marill zeigt ihm einen Vogel. Nadia beginnt schallend zu lachen. „Lach nicht so doof!“, fordert Marill gekränkt. Wie alt der Typ denn sei, versucht Nadia jetzt in Erfahrung zu bringen. Marill zuckt gleichgültig mit den Achseln. „Als ob ich da noch nach frage!“, fügt sie dem Achselzucken bei. „Naja, sie ist erst zwölf“, gibt Nadia zu bedenken. „Zwölfeinhalb“, trumpft Marill auf. „Zwölfeinhalb“, korrigiert Nadia sich, geht zum Kühlschrank, öffnet ihn, nimmt die Flasche Wasser heraus. Ob es ein Mann sei, oder ein Jugendlicher wie sie, will Nadia wissen. Was das für eine Rolle spielen würde, mischt er sich ein. „Na, hör mal!“, ereifert sich Nadia. Marill spielt mit dem Gummi eines Einweckglases, lässt es schnalzen. Sie müsse doch wissen, ob sie sich Sorgen machen – ob sie dem nachgehen müsse. Ein Mann sei ein Mann, erwidert er. Ob der nun vierzehn oder vierzig sei. „Also, das kann ja wohl nicht dein Ernst sein!“, ruft Nadia entsetzt. Er kommt auf sie zu. Sie verschränkt die Arme, hält die Wasserflasche wie zum Schutz vor ihre Brust. Marill greift nach ihrem Walkman auf der Küchenanrichte und stöpselt sich die winzigen Kopfhörer in die Ohren. Sie drückt auf PLAY, beginnt ein Lied mitzusummen. „Lass uns später darüber sprechen“, bittet er Nadia. „Ich finde deine Ansichten dazu höchst seltsam“, sagt sie aufgeregt. Marill summt lauter, hebt die Arme, versucht sich in einer Pirouette. Er fasst Nadia in die Hüfte. „Bitte.“ Sie schüttelt seine Hände von sich ab. Sie sei jetzt gerade irgendwie enttäuscht von ihm, gibt sie zu. Sie würde über seinen Satz nachdenken wollen. Sie müsse darüber nachdenken. Sie könne gar nicht anders. Das würde jetzt so seine Bahn ziehen. Seinen Lauf nehmen, der Gedanke. Welcher Gedanke das sei, will er wissen. „Du weißt schon“, flüstert sie. Nichts würde er wissen. Hätte er gewusst, dass sie so entsetzt darauf reagieren würde – hätte er geschwiegen. „Warum hast du's nicht“, haucht sie, als sei ihre Stimme am ausgehen.

„Marill übernachtet heute bei Selma.“ Nadia bringt zwei Kaffeetassen ins Atelier. „Das Licht ist schlecht“, stellt sie fest. „Die Deckenfenster sind voll mit diesen klebrigen Blüten.“ „Ach“, winkt er ab und sieht wie beiläufig auf vom Papier, „das geht schon. Es reicht für meine kleinen Skizzen.“ Sie tritt hinter ihn, legt beide Hände auf seine Schultern, beugt sich vor. „Das sind keine kleinen Skizzen“, findet sie. „Das sind Kunstwerke.“ „Das sagst du immer“, sagt er tonlos. „Ja, ich weiß. Das sag ich immer.“ „Meinst du es immer gleich?“ „Ich weiß nicht. Es heißt: Ja, ich denke, das sind Kunstwerke, die du schaffst. Für meine Begriffe und in ihrer Ehrlichkeit.“ „Siehst du“, er wendet sich Nadia leicht zu. „das ist verdreht und eben allein deinen Maßstäben unterworfen.“ Mit den Maßstäben anderer, ließe es sich nicht messen, sagt sie. „Da muss ich dich natürlich enttäuschen. Ich bin kein Kunstkritiker. Wenn dir meine Meinung nicht gilt – kann ich in dir kein gutes Gefühl heraufrufen.“ Das täte ihr Leid, bedauert sie. Er legt das Zeichenmaterial geschäftig zusammen. „So war es nicht gemeint“, murmelt er bedrückt. „Ich tret dir heut wohl in mehrerlei zu nahe.“ Sie schiebt einen Klappstuhl zu ihm heran. Er ist im Begriff aufzustehen. „Bitte bleib sitzen“, sagt Nadia. Er setzt sich wieder. „Ich möchte wissen, wie du es vorhin meintest, als du sagtest, ein Mann sei ein Mann.“ Er sieht ihr in die Augen. Sie ist nervös. Ihre Finger spielen mit der Kordel ihres Pullovers. „Schau, ich meine wie ich es sage. Grad heraus und hoffentlich so objektiv es nur irgend möglich ist.“ Ihr Mund schnappt auf, entlässt aber keinen Einwurf. Ihr Mund schnappt zu. Ein Fischlein, denkt er. Trockener Boden – der Raum jetzt. „ Ab da, wo von einem Bewusstsein auszugehen ist – und du wirst mir recht geben, dass sich ein Bewusstsein, eine Bewusstheit nicht erst mit der Volljährigkeit eines Menschen einstellt – kann doch kaum mehr von einem Unterschied zu sprechen sein, der das eine gültiger wichtig, oder unwichtig machte als das andere.“ „Red nicht drumherum“, erwidert sie streng. „Bleib grad heraus.“ „Du warst besorgt, was Marill anbelangt. Dir scheint es schlimmer, würde ein Mann nach ihrer Nummer fragen. Schlimmer, als wenn ein Jugendlicher nach ihrer Nummer fragen würde.“ „Das ist es!“, sagt sie bestimmt. „Es ist widerlich! Abnorm! Ein Mann hat nicht nach der Nummer eines kleinen Mädchens zu fragen!“ „Dein kleines Mädchen ist zwölf, beinahe dreizehn Jahre.“ „Ist ein Mädchen!“ „Sie kommt in die Pubertät, hat bereits ihre Periode, Nadia!“ „Sie ist ein Kind noch, basta! Und ein Erwachsener hat das zu sehen. Ein Erwachsener ist ein Erwachsener, weil ihm die Bewusstheit in einem stärkeren, einem reiferen Maße gegeben sein sollte, als das bei einem Jugendlichen der Fall sein kann.“ „Du meinst, Fehltritte sind bei einem Jugendlichen zu entschuldigen. Bei einem Erwachsenen nicht.“ „Unser Rechtssystem ist danach ausgerichtet! Das alles ist doch ganz klar, ist eindeutig. Und für mein Verständnis: richtig.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Kaffee. „Wirklich bedenklich finde ich die Laschheit in deinen Aussagen. Die Uneindeutigkeit, mit der du alles, als sei es natürlich, gültig sprichst. Das macht mich ganz unsicher“, sagt sie. „Als würde ich dich mit einem Male nicht mehr kennen. Als seist du noch wer anders. Hieltest dich selbst, in einem für dich entsprechenden Moment, für einen Jugendlichen, der sich das erlauben dürfte: nach der Nummer eines Mädchens fragen.“ Er nimmt einen nächsten Schluck vom Kaffee, setzt die Tasse ab, schweigt. „Mir scheint, du verstehst es falsch“, sagt er dann. Er ist traurig. Beide sitzen eine Weile stumm und brüten. „Vermutlich kommen wir da nicht zu einer Einigung“, sagt sie leise und es schwingt Enttäuschung in ihrer Stimme mit. „Du, ich bin keiner, der ein junges Mädchen nach seiner Nummer fragte“, wirft er gekränkt ein. „Dass wir uns da verstehen!“ Er streckt sich. Der Stoff seines Hemdes spannt sperrig. Sie schaut zu ihm auf. Er lächelt jetzt unbeholfen. „Ist es okay, Nadia?“ Sie schüttelt den Kopf, erhebt sich, nimmt beide Tassen in die Hand, sagt, sie würde den Abwasch machen. Er fährt sich mit der Hand über die Stirn. Als Nadia die Tür nach sich schließt, streckt er sich erneut.

Freitag, 10. Juli 2009

Erzählung




Auszug "Zuckerbohnen"



Es fing an damit, dass sie ein Rezept von mir in Erfahrung zu bringen wünschte. Ein ums andere Mal sprach er wohl von diesem Gericht, das sich dem Mund meiner russischen Großmutter einmal entlocken ließ und für das ich bereits als Kind schwärmte, kochte sie es und trug sie es auf bei Familientreffen. Sie ließ mich in einem dieser ersten Telefongespräche wissen, dass er davon ebenso unentwegt ins Schwärmen geriet, wie ich es als Kind tat; und dass ich ihnen beiden nichts weiter als eine Freude machte, verriete ich ihr das Rezept der russischen Großmutter. So kramte ich Zutaten und Kochvorgang aus den Schubladen meines Kopfes, während sie notierend auf der anderen Seite saß und sich ein sprichwörtliches Händchen rieb. In einem weiteren Anruf von ihr, erklärte sie mir, dass sie ja selbst wisse, wie ungewöhnlich es sei, den Expartner des eigenen Partners zu kontaktieren, doch sie wisse sich keinen Rat, mit ihm gerade keinen Rat. Und immerhin hätte ich doch Jahre mit ihm zusammengelebt, würde ihn doch also sicherlich kennen. Meinen Einwurf, dass sich jeder bei einem anderen Menschen neu auch zeige – ja, sich letztlich neu kreiere, neu machte, anders sei, da ja auch der jeweilige neue Partner anders sei, als der zuvorige - ignorierte sie. Ganz konsequent in ihrer Vorgehensweise eines Kennenlernen des Partners, den man selbst glaubte, hinzureichend abgelegt und aufgearbeitet zu haben, brachte sie die sture Frage: „Wie er denn im Gros so gestrickt sei“ über die Lippen. Und ich zögerte und zauderte, rührte gedankenverloren, die Frage nicht fassen könnend, im Eintopf, der vor mir auf dem Herd köchelte. Nicht, dass ich das jetzt falsch verstünde, nahm sie den bis dahin einseitig gesponnenen Faden wieder auf. Sie glaube nur, dass er noch nicht recht gelöst sei von mir. Er würde von mir sprechen. Dann und wann. Zunächst tat sie es noch ab, sagte sie, während mir die Bohnen im Eintopf zerkochten und ich mich unfähig sah, den Topf von der Kochstelle zu nehmen. Es seien nunmal Jahre einer Gemeinsamkeit gewesen. Da bliebe natürlich zurück. Das könne man verstehen. Sie könne das verstehen. Ob es mir denn auch so mit ihm ergangen wäre, fragte sie schließlich. Ob er denn auch in meiner Zeit mit ihm von einer seiner vorherigen Freundinnen gesprochen hätte. In dieser Weise. Der einen Weise. Der wie verräterischen Weise. Ich hätte ihr das gerne bestätigt, schon um von der scheinbaren Besonderheit, die ich dadurch unweigerlich für sie erlangte, freigesprochen zu werden. Dann hätte ich unwahr gesprochen und wahr zu sprechen, war eine Zeitlang mein höchstes Bestreben, der Anspruch, den ich mir stellte. Ich starrte nachdenklich in den Eintopf vor mir, der Blasen warf. Mit einem Male stand Raul mir im Rücken, küsste mich in den Nacken. Ich wirbelte erschreckt herum, bedeutete ihm – indem ich auf das Telefon an meinem Ohr zeigte – mich in Ruhe telefonieren zu lassen. Mein Glück mit ihm kam mir in dieser Situation plötzlich wie Hohn vor. Später sollte ich erfahren, was das anrichten würde einmal mit uns. Ich log nicht. Ich suchte mich herauszuwinden aus dem Gespräch, das sie überwiegend alleine bestritt. Suchte nach einem Weg des Takts. Beinahe konnte ich sie uneinverstanden und unzufrieden mit meinen Antworten und Entgegnungen den Kopf schütteln sehen, oder auch, wie sie ihn zumindest misstrauisch zur Schulter hin neigte. Kinn, Mund und Wange eng ans Telefon gepresst. Es sei so, dass ich mich nicht mehr ganz erinnern könne. Es sei ja, wie sie es selbst sagt, eine lange Zeit gewesen. Viele Jahre. Da sei nicht mehr alles abrufbar im Kopf an Momenten. Das könne sie sich sicher vorstellen. Für sie allein sei es schwierig, bekannte sie, da er so insgesamt ein schwer zu durchdringender Charakter sei. In sich hineinfräße, statt sich frühzeitig mitzuteilen. An der Stelle nickte ich, denke ich. Natürlich erkannte ich ihn in dieser Beschreibung wieder. Doch damit konfrontiert zu werden, hatte ich nicht gebeten. Für meine Trennung von ihm gab es immerhin einen Grund, Gründe. Eine Geschichte, die ich nicht sich verknotend mit einer anderen Geschichte zu sehen verlangte. Ich befand, es gäbe Grenzen meinerseits für eine Mitteilsamkeit und lenkte das Gespräch zunehmend müder auf eine Verabschiedung hin. Der Eintopf war mittlerweile ein vollständiges Mus zerkochter Bohnen.

Donnerstag, 9. Juli 2009

Kleines:

Erstes Mal

Mit einem Male wieder: ungereift,
als sei ich Mädchen, pflückte wilde Gräser,
als wärst du Junge, unrasiert und seicht
im Ausdruck noch; du fülltest Gläser

auf für uns, wir hielten sie uns zu;
Du zwinkertest, ich senkte schüchtern Blick,
mein Herzgalopp im Du-und-Du-und-Du
führte mich, da wo ich herkam jetzt zurück.

Dir wärs nicht dumm, ob meiner Neue,
gewännst der Komik eine Süße ab;
ich rezitierte über eine sonderbare Bläue,
die mir der Himmel wär...das nicht zu knapp.

Wir wüssten nichts vom klassischen Beginn
und nichts vom Enden einer Zeit,
wir spürten uns im allerersten Sinn
und schworn einander Ewigkeit.

Mit einem Male wieder: ungereift,
und gut, so gut ist dieses: Wieder-Kleinen;
von Narbenhand noch nicht gestreift -
sich nächste Illusion zu reimen.

Freitag, 26. Juni 2009

Und Näheres:

Mein erster Gedichtband "In Pulsen" erscheint im Herbst 2009 beim Verlagshaus J. Frank, Berlin.

Montag, 15. Juni 2009

gedicht




impression: abschiede/ankünfte

ich halt die wäsche, die ich ausräum, im arm;
schaukle sie, ein totes kind, das nichts zum leben erweckt.

ich wünschte,
ich wünschte

mir ein haus, wie's andere tun: wünschen.
blindheit, die anrührend ist, uns in die hand nimmt.

wie du weißt, verkümmern
die schönheiten eines kopfes einmal.
und gerade ich

altere schnell; da ist kein mädchen mehr vom boden aufzugreifen,
das sich unter dich legen ließe
mit diesem erschrockenen ausdruck im gesicht,

dass sich mir der magen umdreht
und ich die ungeborenen herausbringe, wieder und wieder,

mit den koffern, mit den wünschen.



Samstag, 6. Juni 2009

gedicht




zu besuch


...rutscht es sich übers parkett mit blassblauem knie,
das es schon kennt, solcherlei fraktur.

die ecken der zimmer: ausgeschmückt.
man lebt unter wasser,
langstielig, und weitfächernd das grüne köpfchen.

ein uterus an letzter illusion,
eine liebelei
unter den spielern. nahezu

alles noch möglich, nach dem wechsel
der hübschen wand; ein ersticktes aufschrein
beim erwachen, dann: die umarmung frierender apokalypse.





Samstag, 9. Mai 2009

Gedicht



Ring


Er lehnt eine Hüfte gegen.
Er reibt einen Schenkel ein mit Farbe von Rotem,
bricht durchs Schlafholz.

Er ist Dichter, Errichter.
Ein Lügner voll grüner scharfer Worte:
Brennnessel.

Fischiger als sonst ist er in meinem Wasser,
sprachloser auch und kalt
sind wir warm, ehern.


Gedicht




Geliebt haben wir uns an den Stränden.
Immer nur an dieser fragilen Naht der Zeit
sind wir miteinander geworden; ge-
storben und auferstanden in schönster Verwunderung,
die uns barfüßig noch eine Weile
durch den wachen Schlaf trug, bis unser Gewicht
wurde, den Arm eines Verhältnisses brach;

Und wir - die vom Raum bedrohten - roh
und Ferse an Ferse blieben, Achilles
pflasterten und nicht müde wurden
mit Erkenntnis zu prahlen wie schlechte Schüler.




Donnerstag, 23. April 2009

Wurf


Auszug "Malika"


Es ist nicht andere Stimme, die aus mir spricht. Das bist nicht du, Malika. Selbst bist du in mir, bist du nicht dort, wo hinein und hinaus eine Stimme wächst, die sich eines Sprachmuskels bedient. Ich spreche aus, und mir vor. Der Akteur, bin ich. Der Zuschauende, ich. Ich erschaffe Theater. Das reinste Spiel. Der Einakter im Monolog, von dem ein Ende zwar anzunehmen, doch von dem nicht auszugehen ist. Beide sind sie geduldig. Rechte Lebendigkeit. Akteur wie Zuschauender. Und von einem Vorhang, ist nichts zu erwarten. Und selbst erwartete man, so ist von Stofflichem nichts zu hoffen. Was wiederum uns widerspräche. Und mir widerspräche. Mir den Beginn nähme. Denn wir liegen im Stofflich. Und hoffend manches mal. Das bist doch du, Malika, der aus mir spricht; der gekrümmt und gebuckelt, verhindert und behindert, neben mir, unter mir, auf mir, in mir liegt. Wir liegen gekrümmt und gebuckelt, verhindert und behindert, nebeneinander, untereinander, aufeinander, ineinander. Nicht in einem Körper liegen wir. Gewiss nicht. Wobei führten wir dies voran bis zu einem Endlichen, lägen wir doch in einem Körper. In einem Körper, der Raum meint, ohne dass ihm Raum abzunehmen wäre. Doch Endliches: Viel. Gelassene, gleichgültige und gültige Viper, die auf Unschuld beharrt und immer auch darauf plädiert, zeigt man sich vor und die Narben ihres Griffs. Schau mich an jetzt. Schau mich in diesem Augenblick an. Mach Augenblick, da ich gehe. Mach mir glauben, du könntest schauen, und aus Augen. Mach mir glauben, ich könnte schauen, und aus Augen. Mach mir glauben, Gesichter sind und Körper. Mach mir Glauben. Sei Religion. Schau mich an im Augenblick des Sprachverlusts. Schau mich an in meiner Todangst. Jetzt schau mich an, Malika. Und schau, was du angerichtet hast mit uns. Mich nanntest du Papierne. Und im zärtlichen Kummer: deine bleiche Haut. Nun bin ich fehlerlos, da voll von Fehl, deine bleiche Haut. Du solltest bleich erkennbar sein auf schwarzem Grund. Du bist kaum sichtbar. Mir im Unsichtigen sichtbarer denn je. Kränker in Bleiche gelegt, als ich dich noch zu tragen wüsste. Meine Frau, sagst du und meinst, damit sei gewagt. Mein Mann, sage ich und: Mutter auch und: aller Welt Gott. Mein Mörder Malika. Der, der sich bleich auf schwarzem Grund seinesgleichen annimmt. Mein Haar nun ist kupfern. Verwirrend kupfern, wo zuvor verwirrend anderes war, und eingeflochten in dein schwarzes. Wo du dich einmal meiner annahmst, ließst du mich. Du färbtest mich, um mich gelassen hernach und in ursprünglicher Farbe vorsprechen zu lassen auf der Feste, die ich Platz nenne. Platz, an dem du nicht bist und ich nicht, trotz Ausgangsfarbe nicht, die sich um Erhalt bemüht und müht mit jedem Wort des Monologs, der abbrechen sollte, nicht aber abbrechen mag. Der Todangst wegen. Der Liebe wegen. Dieser Todangst wegen. Diesem Irr-, und Unding, das mit der gelassenen, gleichgültigen Viper soviel nur gemein hat, und das Schließliche gemein, als dass es auf Unschuld beharrt und immer auch darauf plädiert, zeigt man sich vor und die Narben seines Griffs. Zweifachgegriffen. Zweifachbegriffen ohne greifbar gemacht zu haben. Und angegriffen von beiden Seiten also. Was das für ein äußerer Kampf war, da unter und auf deinem Körper. Durchdringen zu wollen mit einem inwendigen Geschlecht. In dich eindringen zu wollen. Dich pfählen zu wollen, mich zu erlegen. Ärger stand es um mich mit dir in dieser Weise, als jemals zuvor in ähnlicher Weise. Ärger, da geglaubt war von mir. Ärger, da Ort der letztlichen Niederlage so schien. Doch bin ich nicht durchgedrungen, nicht zur Fassung hin; mit Händen nicht und nicht mit einem inwendigen Geschlecht.





Mittwoch, 22. April 2009

Erzählung

Auszug "Suz"


Er sieht ihn schon von Weitem. Den Mann. Im Foyer. Er erinnert sich an ihn. In diesem Augenblick, in welchem er daherkommt aus der Bar - in der einen Hand das Weinglas mit dem Merlot, in der anderen Hand die eben gezogene Schachtel Zigaretten - erinnert er sich; also sieht er den Mann im Foyer, unschlüssig stehend, nicht das erste Mal. Es kann das erste Mal nicht sein. Er fragt sich selbst, unsicher werdend. Eine Erinnerung ist die unbewusste Abfolge vergangener Bilder und die Darstellung eines daraus, der gegenwärtigen Situation entsprechenden, gewählten Bildes, nicht Herr Akademiker? Er lacht über sich. Trottel. Er applaudiert sich, dass es noch funktioniert, das eitle Ego. Keinen Schritt bewegt sich der Mann im Mantel aus der reglosen Position heraus. Ihn aber lenkt es auf ihn zu. Er scheint ein Mittvierziger. Lässig unter dem Mantel gekleidet, vermutet er, nachdem er einen Blick auf die wenig freiliegenden Hosenbeine erfassen kann. Jeansstoff. An den Füßen trägt er Turnschuhe. Eine bekannte Marke. Der Mann steht noch immer unbewegt, mit keiner Frage im Gesicht, noch mit einer sonstigen Regung, die einen nächsten Schritt verraten würde. Schon ist er dicht zu ihm aufgerückt. Schon steht er ihm nah, und in sein unbewegtes Gesicht starrend, gegenüber. Und? fragt er. Wie? fragt dieser und entgegnet jetzt seinem misstrauischen Blick. Kommst du von ihr, oder willst du noch zu ihr? Er hebt das Glas mit dem Merlot an zum Mund, netzt den Rand des Glases mit seinen Lippen, nimmt einen tiefen Schluck, starrt. Entschuldigen Sie. Der Mittvierziger deutet einen Schritt an, auf ihn zu, senkt den Kopf für Minuten, steckt die Hände in seine Manteltaschen, geht einige Schritte zurück, kehrt ihm dann den Rücken zu. Er fasst rasch vor, fasst ins Leere; setzt sich in Gang, lässt die Rädchen laufen, die Gedanken, holt ihn auf, den Fremden, greift und fasst Mantelstoff. Der Mann dreht sich um, dreht sich zu ihm. Er hat ein breites unbeholfenes Grinsen auf den Lippen. Seine Augen verraten Unbehagen, vielleicht Angst. Angst, er könnte Angst vor mir haben, denkt er. Wenn er weiß, worum es geht - und es scheint, als wüsste er - könnte er, berechtigterweise, Angst haben vor mir. Und? fragt er erneut. Der Mittvierziger grinst breiter, grinst unbeholfener. Pardon. Pardon, was? fragt er, ärgerlich werdend. Wir kennen uns nicht, entgegnet der Fremde. Wir kennen sie, erwidert er. Pardon. Ich weiß wirklich nicht, um was es hier geht. Er hebt eine Braue. Soso, Sie wollen mir weismachen, Sie wüssten nicht, um was es hier ginge. Wissen Sie, ich sehe Sie nicht das erste Mal hier stehen. Ich habe ein Zimmer in diesem Hotel, entgegnet der Fremde. Es scheint ihm die Entgegnung des fremden Mannes eine Spur zu kleinlaut. Dann und wann habe auch ich ein Zimmer in diesem Hotel, blafft er zynisch. Es ist ein gutes Hotel. Es spricht nichts gegen dieses Hotel, sagt der bemantelte Mittvierziger jetzt und senkt erneut den Blick. Wie ist sie mit dir? fragt er. Pardon? fragt der andere verständnislos. Ist sie aufrichtig mit dir, oder zahlst du? Der Fremde hebt die Hand auf zum Mund, hüstelt.

Dienstag, 21. April 2009

Rezensionen



sind zunächst einmal subjektiv und werden objektiv erst durch das Annehmen und/oder Teilen der geäußerten Meinung. Für Objektivität, ein Objektivitätsgefühl, braucht es also denjenigen, der es ähnlich sieht. Mich ärgert oft, in welch arrogantem Kleid Rezensionen daherkommen. Gerade bei Rezensionen, die sich auf Lyrik beziehen. Es scheint mir, als läge dort ein Druck des Rezensenten höher, das Komplexe, das Lyrik auch ist, vehement für eine Ganzheit nicht nur erfassen, sondern auch dringend durchsetzen zu wollen, um es "nocheinmal zu schreiben", "neu zu schreiben" und sich selbst damit darzustellen. Ein womöglicher Druck, der bei einer anderen Textgattung weniger gegeben wäre, erklärt sich der Inhalt durch eine andere Textgattung ja von allein, ist eine andere Textgattung ja Mittler. Gefreut habe ich mich erst kürzlich, erst gestern - aufmerksam geworden durch den Hinweis auf einer hiesigen Blogger-Seite einer Autorin, die auch die Verfasserin der Rezension ist - über eine Rezension, die sich über nichts stellen möchte, (was ich als selten empfinde) und sich eben ehrlich beschäftigt mit dem Thema/dem Gegenstand, der ausgewählten Lektüre; damit in jedem Fall gewinnbringend wird für den Leser der Rezension, der sich einlassen kann auf das Geäußerte, da er sich nicht erst durch eitles Aufgeblase zu einem Kern der Rezension kämpfen muss. In der Form würde ich gerne desöfteren Rezensionen lesen, sie selbst vielleicht derart auch schreiben lernen wollen. Ich vermisse meist den Respekt in Rezensionen, der darinnen zu finden wäre, lässt man dem Lesenden der Rezension offenkundig seine Mündigkeit, indem der Rezensent mitteilt, äußert, doch nicht - in eloquenter Dramatik oft - versucht aufzuerlegen. In diesen Versuchen von Rezension scheint mir immer eine Störrischkeit, ein Beharren wollen auf: "So ist das aber! Punkt und Bäh!". Ich für meinen Teil lasse mir nicht gerne von einem sich Äußernden die Zunge herausstrecken, mir Worte in den Mund schieben und bin immer wieder überrascht wie viele Rezensenten, das scheinbar für nötig befinden, um die Tatsache, dass ein Meinen immer nur ein Meinen-, nur Subjektivität sein kann, zu negieren.




Montag, 20. April 2009

Gedicht



Auszug "Aufenthalte"


III

Dir erklärt sich das ohne weiteres:
eine Welt neben deiner.
Meine Befangenheit nährt sich vom Übel:
diese Kriege finden statt.

Ich fahr aus der Haut in die fremde,
bin scheinbar,
Jungfrau hinter Panzerglas.

Du beziehst die alten Knochen neu,
stellst dich vors Haus und
darauf ein, dass es zu schmücken ist
mit dem, was sich findet

unter deiner Hand, deinem Blick
des Fassens einer Form;
und weißt, um Jahre voraus

das Jahr, das zu bezeichnen ist,
das gilt; und das ich immer ahnen darf,
als würde ich von Beeren kosten,
die mir vorm Finger weichen.




publiziert auf: http://www.poetenladen.de/cornelia-schmerle-gedichte.htm

Roman

Auszug "Bali"



Betty duscht. Der Vorhang ist gezogen. Das Wasser braust. Seit beinahe einer halben Stunde, braust das Wasser aus dem Duschkopf. Seit beinahe einer halben Stunde teile ich das Bad mit ihr und der Unbehaglichkeit, die, wie Luftfeuchtigkeit das Spiegelglas vor meinen Augen beschlägt, aufs Badezimmer drückt, die Wände kaum merklich näher kommen lässt, einkreist, was ihnen einzukreisen einfällt. Ich greife Zahnseide aus einem Schub der Bastkommode. Betty ist vom Singen in ein Summen übergegangen. Es ist ein fragiles Summen. Ich spüre das. Ich bemerke, wie ich meinen Atem nicht gehenlasse. Wie er stockt. Bemerke, unter welcher Spannung ich stehe. In welcher Hab-Acht-Stellung. Ich ziehe am Faden, den das Innenleben der kleinen Box fasst; ziehe lang und länger, reiße ihn schließlich, halte erneut kurzweilig Atem an. Ich nehme meine Hand auf zum Mund, öffne ihn, ziehe den Faden durch einen Zahnzwischenraum, halte wieder Atem an und die Ohren auf. Ein dumpfes Geräusch, das stark überlagert wird vom Brausen des Wassers. Ein dumpfes Geräusch hinter dem Duschvorhang. 'Betty?' frage ich laut. 'Alles okay?' Ein dumpfes Geräusch weiterhin. Brausendes Wasser weiterhin. Das ist es, was mich wissen lässt, Betty ist da. Ist noch da. Betty ist. 'Betty?' Sie antwortet nicht. Ich stehe schon am Duschvorhang. Ich wage es nicht den Duschvorhang zu ziehen. 'Betty!' Sie antwortet noch immer nicht. Ich halte Atem, ziehe den Duschvorhang. Betty ist, ist noch da, natürlich und steht in voller nackter Bettygröße unter dem Duschkopf, der das Wasser auf sie herabströmen lässt. Ihre Hände sind zu Fäusten geballt. Mit diesen geballten Händen schlägt sie wieder und wieder auf ihren Bauch ein. Ihre Augen sind geschlossen, auf ihrem nassen Gesicht liegt kein Ausdruck. Ganz unbeteiligt, wie schlafend, steht sie grad aufgerichtet unter der Dusche und schlägt mit Fäusten in ihren Unterleib hinein. 'Betty?' Sie antwortet nicht, öffnet nicht die Augen, hört nicht auf sich zu schlagen. Ich fasse vor, greife ihre Fäuste, halte Atem. Es ist eine Kraftanstrengung ihre Hände von ihrem Bauch abzuhalten. Sie versucht sich meinem Griff zu entziehen; ihr Oberkörper setzt sich in Bewegung. Die Schultern gehen auf und ab. Hin und her. Ihre Brüste heben und senken sich. Die Sehnen an ihrem Hals treten stark hervor. Ihre Augen bleiben geschlossen. Jetzt ist sie meinem Griff entkommen. Jetzt schlagen die Fäuste weiter auf den Bauch ein. Meine Knie stoßen gegen den Badewannenrand. Ich steige zu ihr unter die Dusche. Hebe das eine Bein über den Wannenrand, nehme das andere nach und stehe, komplett bekleidet noch, vor ihr unter der Dusche. Ich fasse ihr Gesicht, streichle ihr über die Wangen, beginne das Summen des von ihr letztgesummten Liedes, während sie sich die Fäuste in den Unterleib schlägt. Ich tue es Betty gleich und schließe die Augen. Ich streichle ihr Gesicht mit geschlossenen Augen, ertaste es; taste sie ab, die Bettyzüge, die sie gerade am Schlafen hält; die aber erahnbar schon sind. Auf einmal werden meine Hände gefasst, legen sich ihre Hände auf meine, bestimmen die Bewegung meiner sie streichelnden Hände. Ich öffne die Augen. Bettys Augen sind noch geschlossen. Ihr Mund steht ein wenig auf. Ihr Atem ist ruhig. Meiner steht. Sie führt meine Hände von ihrem Gesicht fort, ihren Oberkörper hinab. 'Wir sind die Verfolgten. Diese vom Unglück verfolgten Frauen. Immer sind es die Frauen. Da kann erzählt werden, was will. Eine Emanzipation hat nie stattgefunden. Eine Vermenschlichung nicht', sagt sie mit weiterhin geschlossenen Augen und so leise ins Brausen des Wassers hinein, dass ich mein Gesicht nah an ihres führen muss, um sie zu verstehen. 'Das ist nicht wahr', sage ich. 'Mach es nicht wahr', sage ich. Sie lässt eine Hand von meiner, die schon ihren kleinen knotigen Nabel erreicht hat; den sie sich in großen Zügen streicheln ließ und legt mir zwei ihrer Finger auf die Lippen. 'Psst.' Sie fasst mit ihrer anderen Hand nach der auf ihren Nabel liegengebliebenen Hand und nimmt sie hoch zu ihrem Mund. Ihre Lippen schließen sich, um sich gleich darauf etwas zu öffnen. Mit der Zungenspitze berührt sie meine Handinnenfläche, streicht und leckt sie die Innenfläche meiner Hand. Ich fasse sie in die Hüfte, ziehe sie vorsichtig an mich heran. Ihre Lippen umfassen meinen Zeigefinger. Sie beginnt an ihm zu saugen. Wasser und Berührung rieseln auf mich gleichermaßen ein. Ich lege meinen Kopf auf ihre kleine feste Brust, küsse ihre Schulterblätter jetzt, halte inne, schaue schräg zu ihr auf, wie sie saugt an meinem Finger, als sei sie ein Kind. Mit dem Gewicht der nassen Kleidung an mir und dem Gewicht ihrer Berührung stehen wir um jede Zeit verloren.