Freitag, 10. Juli 2009

Erzählung




Auszug "Zuckerbohnen"



Es fing an damit, dass sie ein Rezept von mir in Erfahrung zu bringen wünschte. Ein ums andere Mal sprach er wohl von diesem Gericht, das sich dem Mund meiner russischen Großmutter einmal entlocken ließ und für das ich bereits als Kind schwärmte, kochte sie es und trug sie es auf bei Familientreffen. Sie ließ mich in einem dieser ersten Telefongespräche wissen, dass er davon ebenso unentwegt ins Schwärmen geriet, wie ich es als Kind tat; und dass ich ihnen beiden nichts weiter als eine Freude machte, verriete ich ihr das Rezept der russischen Großmutter. So kramte ich Zutaten und Kochvorgang aus den Schubladen meines Kopfes, während sie notierend auf der anderen Seite saß und sich ein sprichwörtliches Händchen rieb. In einem weiteren Anruf von ihr, erklärte sie mir, dass sie ja selbst wisse, wie ungewöhnlich es sei, den Expartner des eigenen Partners zu kontaktieren, doch sie wisse sich keinen Rat, mit ihm gerade keinen Rat. Und immerhin hätte ich doch Jahre mit ihm zusammengelebt, würde ihn doch also sicherlich kennen. Meinen Einwurf, dass sich jeder bei einem anderen Menschen neu auch zeige – ja, sich letztlich neu kreiere, neu machte, anders sei, da ja auch der jeweilige neue Partner anders sei, als der zuvorige - ignorierte sie. Ganz konsequent in ihrer Vorgehensweise eines Kennenlernen des Partners, den man selbst glaubte, hinzureichend abgelegt und aufgearbeitet zu haben, brachte sie die sture Frage: „Wie er denn im Gros so gestrickt sei“ über die Lippen. Und ich zögerte und zauderte, rührte gedankenverloren, die Frage nicht fassen könnend, im Eintopf, der vor mir auf dem Herd köchelte. Nicht, dass ich das jetzt falsch verstünde, nahm sie den bis dahin einseitig gesponnenen Faden wieder auf. Sie glaube nur, dass er noch nicht recht gelöst sei von mir. Er würde von mir sprechen. Dann und wann. Zunächst tat sie es noch ab, sagte sie, während mir die Bohnen im Eintopf zerkochten und ich mich unfähig sah, den Topf von der Kochstelle zu nehmen. Es seien nunmal Jahre einer Gemeinsamkeit gewesen. Da bliebe natürlich zurück. Das könne man verstehen. Sie könne das verstehen. Ob es mir denn auch so mit ihm ergangen wäre, fragte sie schließlich. Ob er denn auch in meiner Zeit mit ihm von einer seiner vorherigen Freundinnen gesprochen hätte. In dieser Weise. Der einen Weise. Der wie verräterischen Weise. Ich hätte ihr das gerne bestätigt, schon um von der scheinbaren Besonderheit, die ich dadurch unweigerlich für sie erlangte, freigesprochen zu werden. Dann hätte ich unwahr gesprochen und wahr zu sprechen, war eine Zeitlang mein höchstes Bestreben, der Anspruch, den ich mir stellte. Ich starrte nachdenklich in den Eintopf vor mir, der Blasen warf. Mit einem Male stand Raul mir im Rücken, küsste mich in den Nacken. Ich wirbelte erschreckt herum, bedeutete ihm – indem ich auf das Telefon an meinem Ohr zeigte – mich in Ruhe telefonieren zu lassen. Mein Glück mit ihm kam mir in dieser Situation plötzlich wie Hohn vor. Später sollte ich erfahren, was das anrichten würde einmal mit uns. Ich log nicht. Ich suchte mich herauszuwinden aus dem Gespräch, das sie überwiegend alleine bestritt. Suchte nach einem Weg des Takts. Beinahe konnte ich sie uneinverstanden und unzufrieden mit meinen Antworten und Entgegnungen den Kopf schütteln sehen, oder auch, wie sie ihn zumindest misstrauisch zur Schulter hin neigte. Kinn, Mund und Wange eng ans Telefon gepresst. Es sei so, dass ich mich nicht mehr ganz erinnern könne. Es sei ja, wie sie es selbst sagt, eine lange Zeit gewesen. Viele Jahre. Da sei nicht mehr alles abrufbar im Kopf an Momenten. Das könne sie sich sicher vorstellen. Für sie allein sei es schwierig, bekannte sie, da er so insgesamt ein schwer zu durchdringender Charakter sei. In sich hineinfräße, statt sich frühzeitig mitzuteilen. An der Stelle nickte ich, denke ich. Natürlich erkannte ich ihn in dieser Beschreibung wieder. Doch damit konfrontiert zu werden, hatte ich nicht gebeten. Für meine Trennung von ihm gab es immerhin einen Grund, Gründe. Eine Geschichte, die ich nicht sich verknotend mit einer anderen Geschichte zu sehen verlangte. Ich befand, es gäbe Grenzen meinerseits für eine Mitteilsamkeit und lenkte das Gespräch zunehmend müder auf eine Verabschiedung hin. Der Eintopf war mittlerweile ein vollständiges Mus zerkochter Bohnen.

1 Kommentar:

  1. Ich dachte bei diesem Text an die Möbiusschleife, deren Besonderheit es ist, dass sie nur eine Kante und eine Fläche besitzt - und in der Wiederkehr unendlich endlich ist. Letzteres würde zwar eine Mathematiker sicher widerlegen. Aber gerade dies trifft auf diesen Text zu. Auch hier kehrt Vergangenes und Bekanntes zurück, das neu betrachtet und hinterfragt werden möchte; zieht am Betrachter vorbei, ohne dass der sich dem Geschehen entziehen könnte.
    tjm.

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