Montag, 20. April 2009

Roman

Auszug "Bali"



Betty duscht. Der Vorhang ist gezogen. Das Wasser braust. Seit beinahe einer halben Stunde, braust das Wasser aus dem Duschkopf. Seit beinahe einer halben Stunde teile ich das Bad mit ihr und der Unbehaglichkeit, die, wie Luftfeuchtigkeit das Spiegelglas vor meinen Augen beschlägt, aufs Badezimmer drückt, die Wände kaum merklich näher kommen lässt, einkreist, was ihnen einzukreisen einfällt. Ich greife Zahnseide aus einem Schub der Bastkommode. Betty ist vom Singen in ein Summen übergegangen. Es ist ein fragiles Summen. Ich spüre das. Ich bemerke, wie ich meinen Atem nicht gehenlasse. Wie er stockt. Bemerke, unter welcher Spannung ich stehe. In welcher Hab-Acht-Stellung. Ich ziehe am Faden, den das Innenleben der kleinen Box fasst; ziehe lang und länger, reiße ihn schließlich, halte erneut kurzweilig Atem an. Ich nehme meine Hand auf zum Mund, öffne ihn, ziehe den Faden durch einen Zahnzwischenraum, halte wieder Atem an und die Ohren auf. Ein dumpfes Geräusch, das stark überlagert wird vom Brausen des Wassers. Ein dumpfes Geräusch hinter dem Duschvorhang. 'Betty?' frage ich laut. 'Alles okay?' Ein dumpfes Geräusch weiterhin. Brausendes Wasser weiterhin. Das ist es, was mich wissen lässt, Betty ist da. Ist noch da. Betty ist. 'Betty?' Sie antwortet nicht. Ich stehe schon am Duschvorhang. Ich wage es nicht den Duschvorhang zu ziehen. 'Betty!' Sie antwortet noch immer nicht. Ich halte Atem, ziehe den Duschvorhang. Betty ist, ist noch da, natürlich und steht in voller nackter Bettygröße unter dem Duschkopf, der das Wasser auf sie herabströmen lässt. Ihre Hände sind zu Fäusten geballt. Mit diesen geballten Händen schlägt sie wieder und wieder auf ihren Bauch ein. Ihre Augen sind geschlossen, auf ihrem nassen Gesicht liegt kein Ausdruck. Ganz unbeteiligt, wie schlafend, steht sie grad aufgerichtet unter der Dusche und schlägt mit Fäusten in ihren Unterleib hinein. 'Betty?' Sie antwortet nicht, öffnet nicht die Augen, hört nicht auf sich zu schlagen. Ich fasse vor, greife ihre Fäuste, halte Atem. Es ist eine Kraftanstrengung ihre Hände von ihrem Bauch abzuhalten. Sie versucht sich meinem Griff zu entziehen; ihr Oberkörper setzt sich in Bewegung. Die Schultern gehen auf und ab. Hin und her. Ihre Brüste heben und senken sich. Die Sehnen an ihrem Hals treten stark hervor. Ihre Augen bleiben geschlossen. Jetzt ist sie meinem Griff entkommen. Jetzt schlagen die Fäuste weiter auf den Bauch ein. Meine Knie stoßen gegen den Badewannenrand. Ich steige zu ihr unter die Dusche. Hebe das eine Bein über den Wannenrand, nehme das andere nach und stehe, komplett bekleidet noch, vor ihr unter der Dusche. Ich fasse ihr Gesicht, streichle ihr über die Wangen, beginne das Summen des von ihr letztgesummten Liedes, während sie sich die Fäuste in den Unterleib schlägt. Ich tue es Betty gleich und schließe die Augen. Ich streichle ihr Gesicht mit geschlossenen Augen, ertaste es; taste sie ab, die Bettyzüge, die sie gerade am Schlafen hält; die aber erahnbar schon sind. Auf einmal werden meine Hände gefasst, legen sich ihre Hände auf meine, bestimmen die Bewegung meiner sie streichelnden Hände. Ich öffne die Augen. Bettys Augen sind noch geschlossen. Ihr Mund steht ein wenig auf. Ihr Atem ist ruhig. Meiner steht. Sie führt meine Hände von ihrem Gesicht fort, ihren Oberkörper hinab. 'Wir sind die Verfolgten. Diese vom Unglück verfolgten Frauen. Immer sind es die Frauen. Da kann erzählt werden, was will. Eine Emanzipation hat nie stattgefunden. Eine Vermenschlichung nicht', sagt sie mit weiterhin geschlossenen Augen und so leise ins Brausen des Wassers hinein, dass ich mein Gesicht nah an ihres führen muss, um sie zu verstehen. 'Das ist nicht wahr', sage ich. 'Mach es nicht wahr', sage ich. Sie lässt eine Hand von meiner, die schon ihren kleinen knotigen Nabel erreicht hat; den sie sich in großen Zügen streicheln ließ und legt mir zwei ihrer Finger auf die Lippen. 'Psst.' Sie fasst mit ihrer anderen Hand nach der auf ihren Nabel liegengebliebenen Hand und nimmt sie hoch zu ihrem Mund. Ihre Lippen schließen sich, um sich gleich darauf etwas zu öffnen. Mit der Zungenspitze berührt sie meine Handinnenfläche, streicht und leckt sie die Innenfläche meiner Hand. Ich fasse sie in die Hüfte, ziehe sie vorsichtig an mich heran. Ihre Lippen umfassen meinen Zeigefinger. Sie beginnt an ihm zu saugen. Wasser und Berührung rieseln auf mich gleichermaßen ein. Ich lege meinen Kopf auf ihre kleine feste Brust, küsse ihre Schulterblätter jetzt, halte inne, schaue schräg zu ihr auf, wie sie saugt an meinem Finger, als sei sie ein Kind. Mit dem Gewicht der nassen Kleidung an mir und dem Gewicht ihrer Berührung stehen wir um jede Zeit verloren.

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